Es gibt Zufälle, die man einfach hinnimmt – und es gibt jene, die den Eindruck erwecken, als ob die Geschichte selbst ein Echo wäre. Die verblüffenden Parallelen zwischen den beiden amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln und John F. Kennedy gehören zweifellos zur zweiten Kategorie.
Seit Jahrzehnten kursieren Listen, die zeigen, wie eng die Lebensläufe, Wahlen und sogar Todesumstände der beiden Männer miteinander verwoben scheinen. Manche dieser Punkte sind überprüfbare Fakten, andere leicht verzerrte Legenden – doch das Gesamtbild bleibt faszinierend.
Zwei Präsidenten, ein Jahrhundert Abstand
Beginnen wir mit den nüchternen Zahlen:
- Abraham Lincoln wurde 1846 ins Repräsentantenhaus gewählt.
- John F. Kennedy trat genau 100 Jahre später, 1946, denselben Schritt ins Repräsentantenhaus an.
- Lincoln wurde 1860 Präsident – Kennedy 1960, also ebenfalls exakt ein Jahrhundert danach.
Beide Präsidenten galten als Reformer, die das Land moralisch und politisch verändern wollten. Lincoln kämpfte für die Abschaffung der Sklaverei, Kennedy für Bürgerrechte und soziale Gleichheit. Beide standen für Erneuerung, beide forderten die herrschenden Strukturen heraus – und beide fanden ein tragisches Ende.
Der Freitag, der alles veränderte
Abraham Lincoln wurde am Freitag, dem 14. April 1865, im Ford’s Theatre in Washington erschossen.
John F. Kennedy wurde am Freitag, dem 22. November 1963, in Dallas ermordet.
Beide starben also an einem Freitag, beide durch einen Kopfschuss, beide in der Öffentlichkeit.
Die Umstände ihrer Tode zeigen auffällige Symmetrien:
Lincolns Mörder, John Wilkes Booth, floh nach der Tat aus einem Theater in ein Lagerhaus, wo er schließlich gefasst und erschossen wurde.
Kennedys mutmaßlicher Attentäter, Lee Harvey Oswald, schoss aus einem Lagerhaus auf den Präsidenten und floh danach in ein Kino – ein makabres Spiegelbild der Fluchtrichtung.
Seltsame Übereinstimmungen in Personalien
Auch die beteiligten Personen werfen Fragen auf.
Lincolns Sekretärin soll Kennedy geheißen haben, Kennedys Sekretärin Lincoln – ein kurioses Detail, das immer wieder zitiert wird. Historisch ist dieser Punkt umstritten: Es gibt zwar Hinweise, dass Lincoln tatsächlich eine Sekretärin namens Mary Kennedy beschäftigte, doch ob sie in dieser Rolle zum Zeitpunkt des Attentats tätig war, ist nicht sicher belegt. Kennedys Sekretärin Evelyn Lincoln dagegen war real – und ihr Name spricht für sich.
Darüber hinaus:
- Beide Präsidenten hatten Vizepräsidenten namens Johnson.
- Lincolns Nachfolger war Andrew Johnson, geboren 1808.
- Kennedys Nachfolger war Lyndon B. Johnson, geboren 1908 – also wieder ein Abstand von genau 100 Jahren.
Und weiter:
- Beide Mörder trugen 15 Buchstaben in ihren vollständigen Namen (John Wilkes Booth / Lee Harvey Oswald).
- Beide wurden vor ihren Prozessen getötet – Booth auf der Flucht, Oswald durch Jack Ruby.
- Beide Attentate lösten nationale Schockwellen aus, die ihre Länder über Jahre prägten.
Zufall, Archetyp oder Resonanz?
Wie kann man solche Parallelen deuten?
Der erste, naheliegende Gedanke ist: Zufall. Bei genügend Datenpunkten lassen sich zwangsläufig Muster finden. Die USA hatten bis heute über 40 Präsidenten, und wer nur lange genug vergleicht, findet immer ein paar erstaunliche Übereinstimmungen.
Doch der Mensch ist ein Mustererkenner – und diese Neigung, Bedeutung zu finden, wo vielleicht keine ist, nennt man Apophänie. Wir verbinden Zahlen, Namen und Ereignisse zu Geschichten, weil unser Bewusstsein Sinn sucht.
Trotzdem bleibt der Eindruck bestehen, dass zwischen Lincoln und Kennedy eine seltsame Spiegelung existiert – ein narratives Echo der amerikanischen Geschichte. Beide Männer verkörperten Hoffnung, Wandel und Idealismus. Beide wurden in Phasen tiefgreifender gesellschaftlicher Spaltung gewählt. Und beide wurden zu Symbolen, deren Tod das Land in eine kollektive Selbstprüfung stürzte.
Geschichte als Wiederholungsschleife
Einige Philosophen und Physiker würden sagen: Vielleicht erleben wir solche Muster, weil Zeit nicht linear, sondern zyklisch oder strukturiert verläuft. Ereignisse könnten sich wie Wellen wiederholen – nicht exakt, aber mit ähnlicher Form.
In dieser Lesart wären Lincoln und Kennedy Resonanzpunkte in einem historischen Schwingungsmuster: zwei Versionen desselben Archetyps – der idealistische Reformer, der für seinen Idealismus bezahlt.
Auch aus psychologischer Sicht lässt sich das erklären: Nationen schaffen Mythen. Die Geschichte wiederholt nicht notwendigerweise Ereignisse, aber Erzählmuster. Lincoln und Kennedy stehen beide für das Opfer des Visionärs, für den Preis des Fortschritts, für das ewige Drama zwischen Ideal und Macht.
Was bleibt: Faszination und Demut
Ob Zufall oder Struktur – die Parallelen zwischen Lincoln und Kennedy sind zu schön (oder zu unheimlich), um sie völlig zu ignorieren.
Vielleicht erinnern sie uns daran, dass Geschichte mehr ist als eine Abfolge von Daten. Sie ist ein lebendiges Netz aus Wiederholungen, Zufällen, Archetypen und Mustern, die sich in neuen Formen zeigen.
Dass zwei der einflussreichsten Präsidenten der USA mit einem Jahrhundert Abstand so viele Gemeinsamkeiten teilen, bleibt eines der faszinierendsten Phänomene der modernen Geschichtsschreibung – irgendwo zwischen Statistik, Symbolik und Schicksal.
Und am Ende bleibt nur die Frage, die sich durch alle großen historischen Rätsel zieht:
Ist das Universum wirklich zufällig – oder nur so komplex, dass wir seine verborgene Ordnung noch nicht erkennen können?





























