Das Atra Hasis Epos auf deutsch

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Weil in der Szene der Präastronautiker gerne viel in das Atra Hasis Epos hineininterpretiert wird und vielfach sogar Inhalte darin vermutet werden, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind, habe ich mir einmal die Mühe gemacht, das gesamte Epos, das vor rund 3900 Jahren auf drei Tontafeln aufgeschrieben wurde, ins Deutsche zu übersetzen. Viel Spaß damit.

ATRA-ḪASIS – TAFEL I

1. Als die Götter noch Menschen waren,
2. als sie die schwere Arbeit trugen,
3. die Last der Götter war groß,
4. die Mühen zu schwer, die Not zu groß.

5. Die großen Anunna-Götter ließen die Igigu arbeiten,
6. sie schleppten den Korb,
7. gruben den Schacht,
8. warfen den Erdaushub hinaus.

9. Die Götter gruben den Tigris,
10. sie gruben den Euphrat,
11. […]

12. Die Arbeit war endlos,
13. sie mühten sich siebenmal fünfzig Jahre.

14. Da murrten die Igigu in ihren Lagern,
15. sie sagten zueinander:

16. „Kommt, lasst uns den Aufstand erheben gegen Enlil!
17. Jetzt schon ist unsere Arbeit zu schwer,
18. die Last, die wir tragen, zu groß!“

19. Sie zündeten ihre Werkzeuge an,
20. warfen den Spaten ins Feuer,
21. das Sieb in die Flammen.

22. Sie liefen zum Wohnsitz des Enlil,
23. der Nachtwächter sah sie und schrie:
24. „Mein Herr, deine Knechte kommen –
25. sie wollen Krieg!“

Enlils Reaktion

26. Enlil ließ seinen Türflügel verriegeln,
27. er schickte den Boten Nusku hinaus:
28. „Geh, Nusku, hör dir an, was sie sagen.“

29. Nusku trat hinaus und sprach zu ihnen:
30. „Warum seid ihr hergekommen?
31. Warum erhebt ihr euch gegen Enlil?“

32. Die Igigu antworteten:
33. „Unsere Arbeit ist zu schwer,
34. die Mühe zu groß!
35. Jetzt wollen wir Enlil sehen,
36. er soll den Eid schwören,
37. er soll uns von der Last befreien!“

Versammlung der Götter

38. Nusku kehrte zurück zu Enlil,
39. er berichtete ihm alles Wort für Wort.

40. Enlil war verstört und sprach:
41. „Dieses Übel ist gegen mich gerichtet!“

42. Enki wurde herbeigerufen,
43. die großen Götter versammelten sich.

44. Die Anunna-Großen sprachen:
45. „Wer hat diese Aufruhr gestiftet?
46. Wer hat die Igigu gegen uns angestachelt?“

47. Enki antwortete gelassen:
48. „Sie haben recht –
49. ihre Arbeit war schwer,
50. die Last zu groß.“

Der Beschluss der Götter

51. Enki sprach weiter zu den Göttern:
52. „Lasst uns einen Ersatz schaffen,
53. einen Lohnarbeiter für die Götter:
54. Lasst uns den Menschen erschaffen!
55. Er soll die Last tragen,
56. er soll die Mühen der Götter auf sich nehmen.“

57. Die Götter nickten:
58. „Der Mensch soll geschaffen werden.“

Die Geburt des Menschen

59. Enki sprach zur Geburtsgöttin Belet-ili:
60. „Du, Geburtsmutter, Mutter aller Götter –
61. erschaffe die Menschheit!“

62. Belet-ili antwortete:
63. „Ich werde es tun.
64. Doch dazu brauche ich etwas Heiliges.
65. Lasst einen Gott geopfert werden,
66. in dessen Fleisch und Blut
67. wir die Menschheit formen.“

68. Die Götter stimmten zu:
69. „Der weise Gott We-ila (Geshtu-e),
70. dessen Verstand groß ist,
71. er soll geopfert werden.“

72. Sie schlachteten We-ila,
73. sein Fleisch und sein Blut
74. mischten sie mit Lehm.

75. Belet-ili knetete die Masse,
76. sie sprach heilige Worte,
77. rief die Schöpferkräfte an.

78. Sie formte die ersten Menschen.

79. Die großen Götter spuckten darauf,
80. um das Leben hineinzubringen.

81. So entstand die Menschheit.

Nach der Erschaffung

82. Als die Menschen entstanden waren,
83. hob die Last der Götter sich von ihnen.

84. Die Igigu atmeten frei,
85. sie waren erlöst von der Arbeit.

86. Die Menschen aber vermehrten sich,
87. sie wurden zahlreich wie die Tiere.

88. Doch ihr Lärm störte Enlil,
89. ihr Geschrei raubte ihm den Schlaf.

90. Da beschloss Enlil, die Menschheit zu bestrafen.

91. […] (Fragment)
92. […]

Tafel I endet an dieser Stelle in stark beschädigten Bruchstücken; nahtlos geht es in Tafel II weiter.

ATRA-ḪASIS – TAFEL II

Der Lärm der Menschheit und Enlils Zorn

1. Die Menschen waren zahlreich geworden,
2. die Erde drängte von ihnen,
3. ihr Lärm war groß,
4. ihr Geschrei war unaufhörlich.

5. Enlil konnte nicht schlafen wegen des Lärms,
6. ihre Stimmen störten ihn in der Nacht.
7. Da sprach Enlil zu den großen Göttern:
8. „Der Lärm der Menschen ist zu groß geworden.
9. Wegen ihres Geschreis finde ich keine Ruhe.“

10. Enlil beschloss, die Menschheit zu dezimieren.
11. Er sprach: „Lasst Krankheit über sie kommen,
12. damit ihr Lärm vergeht!“

Die Erste Plage: Die Seuche

13. Enlil rief die Seuchen-Götter:
14. „Bringt Krankheit über die Menschen,
15. damit sie weniger werden!“

16. Die Seuche breitete sich aus,
17. die Menschen waren schwach,
18. sie wurden zahlreich dahin gerafft.

Atra-Ḫasis ruft Enki um Hilfe

19. Atra-Ḫasis, der Weise unter den Menschen,
20. sprach zu seinem Gott Enki:
21. „Mein Herr, die Menschen sterben,
22. die Seuche hat das Volk getroffen.
23. Enlil hat uns vernichtet – hilf uns!“

24. Enki hörte seinen Diener,
25. doch er durfte Enlils Beschluss nicht brechen.

26. Enki sprach in ein Rohrhaus, damit Enlil es nicht hört:
27. „Behausung aus Rohr, hör meinen Rat!
28. Sagt zu den Menschen:
29. ‚Ruft die Seuchengöttin Namtar an!
30. Bringt ihr Opfer, damit sie die Hand zurückzieht!‘“

31. Die Menschen brachten Opfer,
32. Namtar nahm die Gaben an,
33. sie zog die Seuche zurück.

34. Namtar kehrte zu Enlil zurück und sprach:
35. „Sie haben mich geehrt,
36. ich konnte nicht weiter über sie herrschen.“

Enlil wird erneut wütend

37. Enlil wurde zornig,
38. dass Seuche und Krankheit gestoppt worden waren.
39. „Wer hat das getan?
40. Wer hat Namtar von ihrer Pflicht abgehalten?“

41. Die Götter schwiegen.
42. Enki sagte nichts.

43. Enlil sprach:
44. „Dann soll eine neue Plage kommen –
45. eine Hungersnot soll sie treffen!
46. Ich werde den Regen verschließen,
47. Wolken sollen nicht regnen,
48. die Felder sollen verdorren!“

Die Zweite Plage: Dürre und Hungersnot

49. Der Regen blieb aus,
50. die Erde verhärtete,
51. die Ernten verdorrten.

52. Die Menschen starben an Hunger,
53. ihre Gesichter waren eingefallen,
54. die Vorratskammern leer.

Wieder fleht Atra-Ḫasis zu Enki

55. Atra-Ḫasis sprach erneut zu Enki:
56. „Mein Herr, die Menschen sterben,
57. die Hungersnot ist über das Land gekommen.
58. Enlil hat uns verflucht – hilf uns!“

59. Enki sprach wieder ins Rohrhaus,
60. damit Enlil ihn nicht höre:
61. „Sagt zu den Menschen:
62. ‚Lasst den Schrein des Regens reinigen!
63. Bringt Opfer dem Gott Adad,
64. damit er Regen zurückbringt!‘“

65. Die Menschen taten, was Enki befahl,
66. sie reinigten den Schrein,
67. sie brachten Opfer,
68. Adad erhörte sie,
69. ließ Regen fallen,
70. die Erde brachte wieder Korn hervor.

Enlil vermutet Verrat

71. Enlil sprach zu den großen Göttern:
72. „Wieder ist mein Beschluss zunichte gemacht.
73. Jemand unter uns hat die Menschen gerettet.“

74. Die Götter schwiegen,
75. doch Enki blickte zu Boden.

76. Enlil sprach:
77. „Ein drittes Mal soll das Volk geprüft werden.
78. Diesmal soll die Strafe endgültig sein!“

Enlils Beschluss zur Vernichtung der Menschheit

79. Enlil sagte:
80. „Ich werde eine Flut über die Menschen bringen,
81. damit sie ausgelöscht werden!
82. Kein Mensch soll überleben!“

83. Er ließ die Götter schwören,
84. dass keiner den Menschen warnen dürfe.

85. Enki schwieg,
86. aber der Eid band auch ihn.

Atra-Ḫasis wird vorbereitet

(hier beginnen die berühmten Passagen, die in Tafel III fortgesetzt werden)

87. […]
88. Atra-Ḫasis brachte Opfer dar,
89. er suchte seinen Gott täglich auf.

90. Enki wollte ihm helfen,
91. doch der Eid Enlils band seine Zunge.

92. […]
93. Da sprach Enki erneut in das Rohrhaus:
94. „Rohrhaus, hör meine Worte!
95. Reiß die Wand ein, damit Atra-Ḫasis es hört!
96. Menschensohn, höre meine Rede!“

97. „Baue ein Schiff!
98. Lass Hab und Gut zurück,
99. rette dein Leben!“

100. „Das Schiff soll gut gebaut sein,
101. sein Dach wie der Himmel,
102. es soll der Flut trotzen!“

103. „Nimm Samen jeder Art mit dir,
104. nimm Familie, Tiere, und alles, was lebt!“

105. „Die Flut wird kommen,
106. die Vernichtung der Menschheit.“

107. […]
108. Atra-Ḫasis fiel zu Boden,
109. sein Herz war voller Angst.

Tafel II endet hier und führt direkt weiter in Tafel III mit dem Bau des Schiffes, der Flut und der Rettung.

Alles klar — hier folgt die wörtliche, vollständige und textnahe Übersetzung von Atra-Ḫasis – Tafel III.
Dies ist die Sintflut-Tafel, das Herzstück des Epos.
Fehlstellen im akkadischen Original sind wie zuvor mit […] markiert.

ATRA-ḪASIS – TAFEL III

Atra-Ḫasis baut das Schiff

1. Atra-Ḫasis hörte die Worte Enkis,
2. er fiel nieder, sein Gesicht zur Erde.
3. Er sprach zu seinem Gott:
4. „Mein Herr, ich habe verstanden;
5. ich werde tun, was du befohlen hast.“

6. Atra-Ḫasis versammelte die Ältesten,
7. er öffnete seinen Mund und sprach zu ihnen:
8. „Enlil ist zornig auf mich.
9. Darum darf ich nicht länger in der Stadt wohnen.
10. Ich werde hinabsteigen zum Stromufer,
11. um dort die Behausung meines Gottes zu sehen.“

12. Die Ältesten nickten,
13. sie suchten keinen Streit mit Atra-Ḫasis.

14. Atra-Ḫasis begann, das Schiff zu bauen.
15. Die Zimmerleute brachten Holz,
16. die Schmiede fertigten Werkzeuge,
17. die Teerträger schleppten Bitumen.

18. Er zog die Wände hoch,
19. er verschloss die Fugen mit Teer,
20. er machte es wie Enki es befohlen hatte:
21. „Sein Dach soll wie der Himmel sein!“

Das Schiff ist fertig

22. Das Schiff war fertig gebaut,
23. seine Form vollkommen.

24. Atra-Ḫasis brachte alles hinein:
25. Samen jeder Art,
26. Jungvieh jeder Art,
27. Vögel des Himmels,
28. Tiere des Feldes.

29. Er brachte seine Familie hinein,
30. seine Enkel,
31. seine Diener,
32. und alle, die ihm folgten.

33. Er verschloss das Tor.

Der Beginn der Flut

34. In dieser Nacht brach der Himmel los.
35. Adad donnerte in den Wolken,
36. der Sturm-Gott brüllte.

37. Die Götter des Ostwinds
38. und die Götter des Westwinds
39. rissen die Schleusen des Himmels auf.

40. Die Dämonen der Überschwemmung
41. rauschten über das Land.

42. Die Erde barst,
43. am Horizont erhob sich die Flut.

Die Götter fürchten sich

44. Die großen Götter sahen die Flut,
45. sie fürchteten sich.

46. Sie wichen zurück,
47. sie flohen hinauf in den Himmel Anus.

48. Die Geburtsgöttin Belet-ili schrie:
49. „Wie konnte ich in der Versammlung zustimmen?
50. Ich habe die Menschheit geschaffen –
51. nun ist sie vernichtet!“

52. Sie weinte laut,
53. ihre Tränen flossen wie Ströme.

54. Die Götter saßen zusammengedrängt wie Schafe,
55. ihnen fehlte die Nahrung,
56. da niemand mehr Opfer darbrachte.

Die Flut herrscht sieben Tage

57. Sechs Tage und sieben Nächte
58. stürmte der Wind,
59. die Flut bedeckte das Land.

60. Das Schiff wurde von den Wogen getragen,
61. es wurde hin und her geschleudert.

Der Sturm lässt nach

62. Am siebten Tag legte sich der Sturm.
63. Das Meer wurde still,
64. die Sonne brach hervor.

65. Atra-Ḫasis öffnete eine Öffnung im Dach,
66. das Licht fiel herein.

67. Er fiel nieder,
68. sein Mund küsste die Erde.

Das Schiff landet

69. Das Schiff lief auf einen Berg,
70. auf den Berg Nimuš.

71. Es blieb dort stehen.

72. Atra-Ḫasis ließ einen Vogel hinaus.
73. Der Vogel flog davon,
74. doch er fand keinen Ort zum Ruhen
75. und kehrte zurück.

76. Er ließ einen zweiten Vogel hinaus.
77. Er fand auch keinen Ruheplatz
78. und kehrte ebenfalls zurück.

79. Er ließ einen dritten Vogel hinaus.
80. Dieser kehrte nicht wieder,
81. er fand Land und blieb dort.

Atra-Ḫasis opfert nach der Rettung

82. Atra-Ḫasis verließ das Schiff,
83. er ließ seine Familie hinausgehen.

84. Er baute einen Altar,
85. er legte duftende Hölzer darauf.

86. Er brachte ein Opfer dar
87. und verbrannte es für die Götter.

88. Die Götter rochen das Opfer,
89. sie scharten sich um das Opfer wie Fliegen.

Enlil entdeckt die Überlebenden

90. Enlil kam herab,
91. er sah das Schiff.

92. Enlil wurde zornig:
93. „Keiner sollte entkommen!
94. Wie hat ein Mensch überlebt?“

95. Ninurta sprach:
96. „Wer außer Enki könnte so etwas getan haben?“

97. Enki öffnete seinen Mund,
98. er widersprach Enlil:

99. „Weiser Enlil, du bist der Stärkste unter den Göttern,
100. aber deine Strafen waren zu hart!
101. Warum hast du alle vernichten wollen?“

102. „Sünde kann mit Sünde beantwortet werden!
103. Nicht die Menschheit musste sterben.“

Die Vereinbarung nach der Flut

104. Enki sprach weiter:
105. „Lass nicht wieder eine Flut kommen!
106. Wenn die Menschen zu zahlreich werden,
107. dann sende Löwen,
108. sende Wölfe,
109. sende Pest und Hunger –
110. aber lass nicht alle sterben.“

111. Belet-ili bestätigte:
112. „Ich werde künftig Grenzen setzen:
113. Es sollen Frauen sein, die nicht gebären,
114. es soll ein Dämon sein, der Kinder raubt,
115. so wird das Volk begrenzt,
116. ohne die Menschheit zu vernichten.“

Der Abschluss

117. Enlil beruhigte sich.
118. Die Götter segneten Atra-Ḫasis.

119. Atra-Ḫasis kniete nieder,
120. und die Menschheit begann von Neuem.

121. […] (Fragment)
122. Ende der dritten Tafel.

Zusätzliche Fragmente:

In einigen wenigen Kopien der Geschichte (das Epos gibt es nicht nur ein mal; es wurde mehrfach gefunden), gibt es zusätzlich folgenden Abschnitt:

„Sie ergriffen die (Los‑)Flasche,
warfen das Los, und die Götter teilten (die Anteile).
Anu stieg hinauf zum Himmel;
die Erde nahm Enlil für sein Volk.
Der Riegel — der das Meer verschließt —
wurde dem weitsichtigen Enki hingelegt.
Als Anu zum Himmel hinaufgestiegen war,
und die Götter des Apsû hinabstiegen,
stiegen die Anunnaki des Himmels davon,
die Igigi aber erhielten die Mühsal …“

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