Polsprung – Supervulkan im Weg

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Der magnetische Nordpol rast auf einen Supervulkan zu. Was bedeutet das für das Magnetfeld der Erde und einen möglichen Polsprung?

Stellt euch vor, ihr seid auf einer Arktis-Expedition. Ihr zückt den Kompass, um die Richtung zu bestimmen, doch die Nadel dreht völlig durch. Die Ursache: Der magnetische Nordpol ist auf der Flucht. Okay, vielleicht nicht wirklich auf der Flucht, aber er bewegt sich definitiv schneller als ein Eisbär auf Robbenjagd. Lange Zeit war der magnetische Nordpol ein treuer Bewohner der kanadischen Arktis, doch seit einigen Jahrzehnten hat er offenbar Fernweh bekommen. Aktuell rast er mit einer Geschwindigkeit von etwa 55 km pro Jahr in Richtung Sibirien. Zum Vergleich: Das ist ungefähr so schnell wie eine Schildkröte bei einem Marathon, also für geologische Verhältnisse rasend schnell.

Und warum ist das überhaupt wichtig? Stellt euch vor, alle Kompasse der Welt würden plötzlich in die falsche Richtung zeigen. GPS-Systeme würden verrückt spielen, Zugvögel würden verwirrt im Kreis fliegen und selbst die Tür eures Kühlschranks könnte sich plötzlich nur noch auf der falschen Seite öffnen. Okay, das Letzte war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ihr versteht den Punkt.

Der Grund für diese Wanderlust unseres magnetischen Nordpols liegt im Inneren der Erde. Unser Planet hat einen flüssigen äußeren Kern aus geschmolzenem Eisen und Nickel. Die Bewegung in diesem Kern erzeugt ein Magnetfeld, das die Erde umgibt – eine Art kosmischer Schutzschild gegen die gefährliche Strahlung aus dem All. Es ist, als hätte die Erde wie Iron Man einen eigenen Superheldenanzug. Dieses Magnetfeld ist nicht statisch, sondern ständig in Bewegung. Stellt es euch wie eine riesige Lavalampe vor, nur dass statt bunter Blasen geschmolzenes Metall auf- und absteigt. Diese Bewegungen führen dazu, dass sich die Stärke des Magnetfelds an verschiedenen Stellen ändert.

Geophysiker gehen davon aus, dass der kanadische Magnetfeldlappen – das ist tatsächlich der wissenschaftliche Begriff – schwächer geworden ist, während der sibirische stärker wurde. Das Ergebnis: Unser magnetischer Nordpol macht sich auf den Weg nach Osten, als hätte er einen verlockenden Groupon-Gutschein für ein sibirisches Wellnesswochenende bekommen – oder so.

Doch das Ziel seiner Reise ist alles andere als entspannend. Der magnetische Nordpol steuert direkt auf eines der größten Vulkansysteme der Erde zu: den Gakkelrücken. Moment mal, ein Supervulkan unter dem arktischen Ozean? Ja, ihr habt richtig gehört, und nein, das ist kein Drehbuch für den nächsten Katastrophenfilm von Roland Emmerich – auch wenn das ein ziemlich cooler Film werden könnte. Der Gakkelrücken, oder auch Mittelarktischer Rücken genannt, ist Teil des globalen Netzwerks der mittelozeanischen Rücken. Er erstreckt sich über 1800 km unter dem arktischen Ozean und ist der langsamste spreizende Rücken der Welt. Klingt erstmal nicht so aufregend, aber genau diese Langsamkeit macht ihn so gefährlich. Es ist, als würde man einen Schnellkochtopf auf kleiner Flamme stehen lassen – irgendwann baut sich ein gewaltiger Druck auf.

Aber immer der Reihe nach. 1999 entdeckten Wissenschaftler etwas Erstaunliches: eine riesige Caldera, also ein Vulkankrater, direkt auf dem Gakkelrücken. Mit einer Länge von 80 km, einer Breite von 40 km und einer Tiefe von 1,2 km ist dieser Krater ein Schwergewicht unter den Vulkanen und kann es sogar mit der Yellowstone-Caldera aufnehmen. Die Forscher schätzen, dass bei der Eruption, die diesen Krater geformt hat, mindestens 3000 Kubikkilometer vulkanisches Material ausgestoßen wurden. Das ist genug, um ganz Deutschland unter einer 8 Meter dicken Schicht Asche zu begraben – da helfen nur neue Steuern.

Dieser Ausbruch gehört zu den Top 10 der größten Vulkanausbrüche aller Zeiten. Er war heftiger als der berühmte Toba-Ausbruch vor 75.000 Jahren. Aber keine Sorge, diese Eruption liegt schon eine Weile zurück: 1,1 Millionen Jahre. Das Problem ist nur, in geologischen Zeiträumen ist das quasi gestern. Und jetzt bewegt sich der magnetische Nordpol direkt auf diesen schlafenden Riesen zu – ein wenig, als würde man mit einem Megafon an das Ohr eines schlafenden Drachens herantreten.

Was wird passieren, wenn die kosmische Strahlung genau auf den Gakkel-Supervulkan geleitet wird? Der magnetische Nordpol ist nicht nur ein Punkt auf der Karte, er ist eine Art Trichter für Energie aus dem Weltraum. Die Magnetfeldlinien der Erde laufen an den magnetischen Polen zusammen und bilden eine Art Polarkuppe. Diese Kuppe leitet geladene Teilchen aus dem Sonnenwind in die Erdatmosphäre und erzeugt dann z. B. Polarlichter. Normalerweise verteilt sich diese Strahlung über ein größeres Gebiet der Atmosphäre. Doch der Bereich, in dem sich der Gakkelrücken-Supervulkan befindet, ist ein bisschen speziell. Hier ist die ozeanische Kruste superdünn – so dünn, dass an einigen Stellen sogar der Erdmantel direkt unter dem Meeresboden freiliegt. Es ist, als hätte die Erde hier nur ein dünnes T-Shirt an, statt ihrer üblichen dicken Winterjacke.

Wenn sich der magnetische Pol über dieses Gebiet bewegt, könnte er den Zustrom von Sonnenenergie und geladenen Teilchen auf diese dünnhäutige, magmareiche Region lenken. Und jetzt gibt es einige YouTuber, die behaupten, dass das eine gewaltige Eruption in der Arktis auslösen wird und dass wir geradewegs auf eine globale Katastrophe zusteuern. Die Sorge ist, dass diese zusätzliche Energiezufuhr das ohnehin schon instabile Supervulkansystem weiter destabilisieren könnte. Aber kann das wirklich stimmen? Dröseln wir das mal auf.

Zunächst mal ist es nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass der Gakkel-Vulkan irgendwann wieder ausbrechen könnte. Der Gakkelrücken-Supervulkan hat in den letzten Jahren bereits Anzeichen von Aktivität gezeigt. 1999 erlebte der Rücken den größten jemals auf einem mittelozeanischen Rücken aufgezeichneten Erdbebenschwarm. Dabei entstanden neue Vulkane am Meeresboden und sogar untermeerische pyroklastische Ströme – eine Art von Eruption, die man unter solch hohem Druck eigentlich für unmöglich gehalten hatte. Ein weiterer seismischer Schwarm ereignete sich im Februar 2018 und bestätigte erneut, dass wir es hier mit einem aktiven tektonischen System zu tun haben.

Und sollte es tatsächlich zu einem größeren Ausbruch kommen, wären die Folgen eher so semioptimal. Die enorme Menge an ausgestoßenem Material würde wahrscheinlich bedeutende Mengen an Wasserdampf und anderen Gasen enthalten, die dramatische Auswirkungen auf die globalen Wettermuster und das Klima haben könnten. Wir erinnern uns an den Ausbruch des Hunga-Tonga-Unterwasservulkans in der Südsee im Jahre 2022, der – wie wir heute wissen – so viel Wasserdampf in die Atmosphäre gepustet hat, dass es das globale Klima verändert hat. Die freigesetzte Asche und die Gase eines Gakkel-Ausbruchs könnten also nicht nur den Flugverkehr stören, sondern die globalen Temperaturen für Jahrzehnte beeinflussen. Eine Eruption des Gakkelrückens wäre ein bisschen wie die Hunga-Tonga-Eruption auf Steroiden.

Der Zusammenhang zwischen geomagnetischen Stürmen und geologischen Ereignissen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüchen ist zwar nicht komplett absurd. Immerhin wissen wir, dass das Erdmagnetfeld durch Umwälzungsprozesse des flüssigen Materials im Erdinneren erzeugt wird. Also da haben wir schon einen gewissen Zusammenhang zu vulkanischer Aktivität. Aber dass die Wanderung des magnetischen Pols direkte Auswirkungen auf geologische Prozesse wie Erdbeben oder eben Vulkanismus hat, bzw. dass die Verschiebung des Magnetfelds Eruptionen auslösen könnte, dafür fehlt es komplett an wissenschaftlicher Evidenz.

Auch die Kraft des Sonnenwinds selbst reicht dafür nicht aus. Sonnenstürme haben Auswirkungen auf das Erdmagnetfeld und können zu geomagnetischen Stürmen führen, die wiederum Störungen in Stromnetzen oder auch der Satellitenkommunikation verursachen können. Wir haben ja noch den geomagnetischen Sturm vom Mai in Erinnerung, als wir wunderschöne Polarlichter sogar in Deutschland sehen konnten. Aber es gibt keine direkte Verbindung zwischen Solaraktivität und vulkanischen Ausbrüchen. Die Energien, die bei einem Sonnensturm freigesetzt werden, sind zwar enorm, aber sie wirken hauptsächlich in der oberen Atmosphäre und haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Plattentektonik oder die vulkanische Aktivität tief unter der Erdkruste.

Es gibt aber ein anderes Phänomen, das tatsächlich mit der Polbewegung in Verbindung gebracht wird und potenziell gefährlich ist: der Polsprung.

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