Wir wurden nach Strich und Faden verarscht

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Wir wurden nach Strich und Faden verarscht

und wir leben in einer spannenden Zeit

Ich bin Baujahr 1968. Meine Generation und die meiner Eltern wurde nach Strich und Faden verarscht. Nein, das hier wird kein politischer Beitrag, sondern ein technischer. Es geht um Technik, technische Entwicklung, Innovation und Umsetzung. Und es geht um die „Das geht alles nicht“- Generation, also die Generation meiner Eltern und Großeltern.

Doch beginnen wir am besten ganz vorn.

Als ich Kind war, da las ich für mein Leben gerne Comics. Ich mochte Batman, Superman, das Phantom und natürlich auch Spiderman. Als wir wieder einmal in einem 3-wöchigen Skiurlaub ohne Schnee in Nauders (Tirol) festsaßen (es gab damals viele Winter ohne Schnee obwohl der Klimawandel noch gar nicht erfunden war) und uns zu Tode langweilten und nachdem ich Winnetou 1-3 ausgelesen hatte, da kaufte mein Vater mir (wohl weil er meine Nölerei nicht mehr ertragen konnte) ein Spiderman-Comic, der damals noch „Die Spinne“ hieß. Darin kämpfte Spiderman gegen den Grünen Kobold. Den fand ich viel cooler als die Spinne, zumal er die coolste Art zu fliegen erfunden hatte. Er stand nämlich auf einem Gleiter, mit dem er überall hinfliegen konnte. So ein Teil wollte ich auch. Ich fragte also zuerst meine Mutter, ob man so etwas nicht bauen könne. Danach fragte ich meinen Vater. Der lachte und sagte mir, man könne alles zeichnen aber das sei reine Phantasie.

Wir hatten einen Verein in dem es auch Ingenieure gab. Als wir wieder zu Hause waren, fragte ich einen davon. Ich zeigte ihm den Comic. Er meinte: Theoretisch schon aber die Entwicklung würde Millionen kosten und man bräuchte die fähigsten Köpfe um das umzusetzen. So war das in dem Heft ja auch dargestellt. Der Grüne Kobold war in Wirklichkeit ja Norman Osborne und Chef eines Rüstungskonzerns. Er sagte mir auch, dass man so etwas nie entwickeln würde weil man damit eh nicht fliegen könne.

Irgendwann ließ ich es dabei bewenden und als ich älter wurde, faszinierten mich andere Fluggeräte. In einer Wiederholung eines alten James Bond-Films sah ich einen Rucksack, mit dem man fliegen konnte. Das sah echt aus, nicht wie ein Filmtrick. Den Film hatten auch zahlreiche meiner Klassenkameraden gesehen und so sponnen wir uns zusammen, dass wir uns so einen Rucksack bauen würden. Als das Design in diversen Deutsch- und Matheheften ausgearbeitet war, fragten wir unseren Physiklehrer, Herrn Gerlach, wie es mit der Technik so eines Rucksacks bestellt sei. Der hatte den Film auch gesehen und wusste wovon wir sprachen. Er meinte zwar, das sei ein Filmtrick gewesen, wollte sich aber trotzdem einmal erkundigen.

Voller Stolz zeigte er uns einige Wochen später was er herausgefunden hatte. Den Raketenrucksack gab es wirklich! Ein amerikanischer Großkonzern, der normalerweise Hubschrauber für die Armee fertigte, hatte ihn mit einem Budget von vielen Millionen Dollar für das Militär entwickelt. Und es war ein Flop, der nie zur Serienreife gelangt war, weil er nur 20 Sekunden fliegen konnte. Also auch wieder etwas, das absolut unmöglich umzusetzen schien.

Ein paar Jahre später sprach mich der Ingenieur aus dem Verein an. Ich würde mich doch für ungewöhnliche Fluggeräte interessieren. Davon gäbe es zahllose beim Patentamt. Ich schrieb also das Patentamt an. Es gab noch kein Internet und Patentrecherche war ein richtiges Abenteuer. Man setzte sich vor einen Kasten, schaute in eine Box und scrollte einen Mikrofilm vor, bis man das gewünschte Patent gefunden hatte. Wenn man das auf Papier wollte, kostete es 2 Mark pro Seite. Ich suchte mir drei Patente von diskussförmigen Fluggeräten heraus, deren Antrieb mir auf Anhieb einleuchtete und glaubte den heiligen Gral gefunden zu haben. Einfache, kleine Propeller hoben diese Untertassen an und ließen sie fliegen. Wie viel einfach war das, als die aufwändige Helikopter-Technologie?

Ich suchte nach Mitstreitern, um so eine fliegende Untertasse zu bauen. Wir wollten Rasenmähermotoren verwenden, an die ein Schulfreund (so behauptete er jedenfalls) leicht herankam. Wieder war Herr Gerlach unser Ansprechpartner. Wir waren soooo sicher…

….und wieder bekamen wir einen Dämpfer. Herr Gerlach erzählte uns, dass das amerikanische Militär das schon ausprobiert hätte. Die hätten Millionen in die Entwicklung gesteckt und es hätten hunderte fähiger Fachleute daran gearbeitet. Dabei habe man dann aber festgestellt, dass es absolut unmöglich sei. Bei Vollgas habe diese fliegende Untertasse nur wenige Zentimeter vom Boden abgehoben. So etwas würden WIR also niemals hinbekommen.

Es schien tatsächlich so, als hätten sie alle recht gehabt. Zum Fliegen braucht es viele Millionen bei der Entwicklung und es braucht fähige Physiker und Ingenieure. Flugzeuge und Helikopter sind die einzige Möglichkeit.

Das glaubte ich noch bis vor ungefähr 2 1/2 Jahren. Und nun stell Dir vor, wie groß meine Überraschung war, als ich erfuhr, dass man mich total verarscht hatte. Ob nun wissentlich oder aus Blödheit – man hatte mir Dinge erzählt, die einfach nicht stimmten.

Es reicht nämlich ein einzelner Mann aus, um den Fliegegleiter des Grünen Kobolds zu bauen und die Entwicklung hat auch bei Weitem keine Millionen gekostet. Es waren weder Physiker beteiligt, noch Raketenwissenschaftler. Es handelte sich nicht um ein geheimes Militärprojekt und der echte „Grüne Kobold“ ist auch nicht Chef eines riesigen Rüstungskonzerns. Der echte Grüne Kobold ist Franzose und heißt Frank Zapata. Viele kennen ihn wahrscheinlich von einer seiner älteren Entwicklungen, dem sogenannten „Flyboard„. Das ist jenes teure Badespielzeug für reiche Erwachsene, das einen mittels Wasserstrahl in die Luft hebt. Nun hat Frank Zapata ein neues Spielzeug entwickelt, dass eben kein Wasser mehr benötigt. Wie er das gemacht hat? Nun, er hat einfach die uralt bewährte Strahltiebswerks-Technologie genommen und sie so eingesetzt wie wir Kinder das damals auch getan hätten. Im Unterschied zu uns und wohl auch allen anderen Menschen jener Zeit, hat er sich von einem „das geht doch nicht“ einfach nicht abschrecken lassen. Und siehe da: Es geht!

Lässt sich dann nicht auch ein Fluggerät bauen, dass mit vielen kleinen Propellern angetrieben wird, statt mit einem riesigen auf dem Dach? Könnte man vielleicht sogar die Patente umsetzen, die ich gefunden hatte? Inzwischen gab es das Internet ja schon lange und Patentrecherche wurde sehr viel einfach. Ich hatte noch eine Vielzahl ähnlicher Patente gefunden – selbst das, an dem sich die US Airforce vergeblich versucht hatte. Es war das Patent eines gewissen Mr. Frost. Das aber nur am Rande.

Du kannst Dir mein Erstaunen nicht vorstellen und noch weniger meine kurz darauf folgende Wut, als ich herausfand, dass es nicht nur keine Airforce, keine Superwissenschaftler und keine Millionenfinanzierung braucht, sondern nur ein paar Schüler, die gerade mal 17 oder 18 Jahre alt sind und eine….Badewanne. Die haben nämlich geschafft, was die Airforce nicht geschafft hat. Was war der Unterschied? Der erste Unterschied liegt ganz einfach darin, dass diese Jungs keine Theoretiker sind, die alles zerreden, sondern Tüftler und Bastler, die einfach mit dem Bau beginnen. Der zweite Unterschied ist die Tatsache, dass die „das geht alles nicht“-Generation heute langsam ausstirbt. Was übrig bleibt, ist meine Generation, die unter der „das geht nicht“-Generation litt und die nachfolgenden Generationen, die uns zeigen wie blöde unsere Eltern und Großeltern doch waren. Und die uns zeigen wie blöde wir waren, dass wir unseren Eltern und Großeltern alles so einfach geglaubt haben, ohne auch nur einen einzigen Versucht zu unternehmen, deren Aussagen zu überprüfen.

Hinweise, dass an deren Sichtweise etwas nicht stimmte, gab es genug, wenn auch nur unscheinbar und schwer zu erkennen. Es gab beispielsweise das geflügelte Wort der „Raketenwissenschaft“ wenn man etwas nahezu unmögliches meinte, das nur mit allergrößter Anstrengung von den allerhellsten Köpfen dieser Welt geschaffen werden könne. Nichts könnte je falscher sein als diese Annahme. Gegen die komplizierteste Rakete dieser Erde ist das einfachste Auto dieser Erde noch immer ein wahres Wunder der Ingenieurskunst. Jeder (und ich meine wirklich JEDER) kann einen Raketenmotor bauen und mit ein Wenig Übung bekommt auch jeder ein Strahltriebwerk hin. Aber versuche doch einfach einmal einen Otto-Motor, einen Dieselmotor oder gar einen Wankelmotor zu bauen. Viel Spaß dabei!

Die Welt wurde ab 1950 für gute 50 – 60 Jahre förmlich auf den Kopf gestellt. Kindergartenbasteleien wurden frenetisch bejubelt, ihre „Erfinder“ als Genies verehrt und so hoch bezahlt, als hinge das Überleben der gesamten Menschheit von ihnen ab.

Den meisten anderen Menschen traute man zu dieser Zeit gerade einmal zu, einen Nagel in einen Balken zu schlagen oder eine Schraube in ein Brett zu schrauben.

Du glaubst mir nicht? Ich beweise es Dir anhand eines konkreten Beispiels: Nimm diesen Raketenrucksack, Im Original heisst er „Bell Rocketbelt“ und wurde von der Firma Bell Aerosystems mit einem unglaublichen Budget für das amerikanische Militär entwickelt. Als die ersten öffentlichen Demonstrationen bekannt wurden, hielten die Menschen den Atem an, angesichts einer solch „fortschrittlichen“ Erfindung. Dabei funktioniert dieser Raketenrucksack in Wirklichkeit so simpel, dass ihn jedes Kind zusammenbauen könnte.

Hochkonzentriertes Wasserstoffperoxid (das Mittel, dass in schwacher Konzentration zum Blondieren verwendet wird) wird mittels komprimierter Kohlensäure (Prinzip wie beim Sahnespender) durch ein versilbertes Metallsieb gepresst. Das Wasserstoffperoxid reagiert mit dem Silber und verdampft schlagartig. Da der Dampf einen erheblich größeren Raum einnimmt als das Wasserstoffperoxid, entsteht sehr viel Druck. Dieser Druck wird durch zwei relativ enge Rohre geleitet, die ihn in Richtung Erde lenken. Das erzeugt massig Schub. Fertig ist diese ach so futuristische Erfindung. Gas gegeben wird, indem der Mengendurchsatz des Wasserstoffperoxids erhöht wird. Dieser muss aber ohnehin schon sehr hoch sein (geflogen wird i.d.R. bei Vollgas), weshalb der Pilot entweder einen riesigen Tank benötigen würde oder eben nur 20 Sekunden in der Luft bleiben kann.

Jetzt könntest Du annehmen, dass man es nicht besser gemacht hat weil es nicht besser ging. Aber dann liegst Du falsch. Man hätte statt überbezahlter „Raketenwissenschaftler“ lieber einen der Nagel- oder Schraubenversenker fragen sollen. Leider haben dieser Leute aber erst in unser heutigen Zeit den Mut, es einfach auszuprobieren. Oder lässt sich dergleichen erst mit der Technologie unserer Zeit realisieren? Nein. Der BJ10 des kleinen Australischen Startups Jetpack Aviation verwendet uralte Technologie, nämlich Strahltriebwerke, wie sie auch bereits in den 50er und 60er Jahren bekannt waren.

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